Ich finde es immer wieder faszinierend, wie die Bräuche, die man seit der Kindheit aus der Heimat kennt, in anderen Ländern auf ihre eigene Weise gefeiert und zelebriert werden. Da mein Herz bekanntermaßen für Frankreich schlägt, war es für mich eine besondere Freude, die Vorweihnachtszeit einmal in der Provence verbringen zu können.
In der Provence hat Weihnachten einen ganz besonderen Stellenwert und gilt als die wichtigste Zeit des Jahres. Die festliche Atmosphäre beginnt lange vor dem 24. Dezember, wenn sowohl Privathäuser als auch Kirchen liebevoll geschmückt werden. Eine zentrale Rolle spielen dabei die kunstvoll gestalteten Krippen, die mit einer Vielzahl von detailreichen Figuren dekoriert sind. Diese Figuren, die mit großer Sorgfalt bemalt werden, nennt man "santons" – kleine Heilige. Die Krippen der Provence erzählen die Geschichte eines lebendigen Dorflebens. Dorfbewohner bringen ihre Gaben dar, und jede Figur trägt zur detailreichen Szenerie bei. Solche Krippen können beachtliche Ausmaße annehmen.
Die größte Krippe der Welt befindet sich in der Provence, genauer gesagt im Dorf Grignan – ein Rekord, der sogar im Guinness-Buch der Rekorde festgehalten wurde. Diese beeindruckende Weihnachtskrippe erstreckt sich über eine Fläche von 1.116 Quadratmetern. Zu bewundern gibt es mehr als 80 Häuser und über 1.000 Figuren, die sogenannten Santons (kleine Heilige). Die Gebäude sind mit viel Liebe zum Detail im Miniaturformat gestaltet. Eine besondere Faszination üben die Szenen aus, in denen die Figuren in alltäglichen Momenten dargestellt werden – beispielsweise beim Weintrinken oder beim Zubereiten von Speisen in der Küche. Vorwiegend sind es die traditionellen Berufe, die in den Krippen zum Leben erweckt werden. Zu den dargestellten Figuren zählen der Bäcker, der Müller, der Winzer, der Schäfer und der Fischer, die alle für das ländliche Leben in der Provence stehen.
In der Provence begegnet man den Santons – bunten Tonfiguren – das ganze Jahr über, selbst im Sommer. Sie stellen traditionelle Berufe und Aktivitäten dar und zeichnen so ein facettenreiches Bild des ländlichen Lebens und der Kultur dieser bezaubernden Region.
Die meisten Santons spiegeln das Leben auf dem Land wider, während andere den métiers de bouche gewidmet sind – den Berufen, die für die kulinarischen Freuden sorgen. Man sieht die Fischhändlerin und den Müller, die Kürbis tragende Bäuerin und den Jäger, den Angler und den Knoblauchbauern, die Gänsezüchterin und den Käsehändler, den Bäcker und den Koch, den Trüffelsucher und den Olivenpflücker, den Weinhändler, den Kastanienverkäufer und viele mehr.
Mit einem geschulten Blick entdeckt man sogar die Provenzalin, die Aïoli rührt, und eine andere, die die Zutaten für die pompe, den traditionellen Weihnachtskuchen, bereithält. Diese Figuren bereichern die Krippen, deren Zentrum das Jesuskind, die Jungfrau Maria und der Heilige Josef bilden.
Bereits seit dem 16. Jahrhundert wurden Krippen zu Weihnachten in Kirchen aufgestellt. Die Tradition der Santons – abgeleitet vom provenzalischen Wort santoum (kleiner Heiliger) – entstand jedoch in der Zeit der Französischen Revolution, als die Kirchen geschlossen blieben. Die Familien bewahrten den Brauch der Krippen, indem sie kleinere Figuren herstellten – aus Holz, Gips, Ton, Brotteig oder anderen Materialien. Die Figuren wurden bemalt oder in Stoff gekleidet.
Ein Wendepunkt war die Arbeit von Jean-Louis Lagnel, der erstmals Gipsformen herstellte, um Figuren aus Ton serienweise zu gießen. Einige Santonniers – wie die Santon-Hersteller genannt werden – blieben bei der Bekleidung ihrer Figuren. Im Dezember 1803 fand in Marseille die erste Santons-Messe statt, und die Tradition gewann an Popularität.
Besonderen Auftrieb erhielt die Krippe durch das Hirtenspiel "Maurel", das im 19. Jahrhundert zeigt, wie Jesus in einem kleinen Dorf der Provence geboren wird. Dadurch fanden neben den biblischen Figuren auch die provenzalischen Charaktere ihren Platz in der Krippe.
Die Krippe wurde zu einem Spiegel des Familienlebens. Jede Figur repräsentiert ein Familienmitglied, Verwandte oder Freunde. Gemeinsam schmückt die Familie die Krippe mit Moos, getrockneten Pflanzen, Holzstücken und Steinen, die traditionell am ersten Advent in der Natur gesammelt werden.
Die Figuren werden ab dem 4. Dezember aus ihren Kartons geholt, aber das Jesuskind kommt erst am 24. Dezember zum großen Souper in die Krippe, während die Heiligen Drei Könige an Epiphanias folgen. Jedes Jahr wird die Krippe erweitert, sodass sie über Generationen wächst und zu einem unentbehrlichen Teil eines provenzalischen Weihnachtsfests wird.
Der Erfolg der Santons hält bis heute an. In Marseille findet von Ende November bis Heiligabend der berühmte Santons-Markt statt. Der Beruf des Santonniers hat sich in vielen Familien vererbt, doch auch Bauern fertigen ihre eigenen Figuren.
Die Santons der Provence haben längst Frankreich und sogar die Welt erobert. Mit ihren charmanten Details schmücken sie Weihnachtskrippen überall und begeistern Kinder wie Erwachsene gleichermaßen.
Am 4. Dezember, dem Festtag der Heiligen Barbara, beginnt in der Provence eine wunderbare Tradition, die das Warten auf Weihnachten mit einem symbolischen Ritual bereichert. An diesem Tag werden Barbarazweige geschnitten und in Wasser gestellt, ein alter Brauch, der Hoffnung und Wachstum symbolisiert. Gleichzeitig beginnt eine weitere schöne Geste: Es werden Weizenkörner gesät, die ein besonderes Zeichen für die Dreifaltigkeit darstellen.
Die Weizenkörner werden auf ein Bett aus feuchter Watte oder Erde in drei kleinen Schälchen verteilt. Diese symbolisieren die Dreifaltigkeit und werden an einen warmen Platz gestellt, oft auf den Kaminsims. Mit Geduld und Pflege beginnen die Körner zu keimen und wachsen bis Weihnachten zu kleinen Miniaturfeldern heran. Die Stärke, das Wachstum und die sattgrüne Farbe der Triebe gelten als Omen für die kommende Ernte, Wohlstand und Glück im neuen Jahr.
Die ganze Familie – Eltern und Kinder – beteiligt sich an dieser liebevollen Vorbereitung auf das Weihnachtsfest. Die kleinen Weizenfelder schmücken später die Krippe und den festlich gedeckten Tisch des Weihnachtsmahls. So verbindet diese alte Tradition Natur, Glauben und Gemeinschaft zu einem besonderen Ausdruck der vorweihnachtlichen Freude.
"Quand lou blad ven ben, tout va ben"
(Wenn’s dem Weizen gut geht, geht alles gut)
Diese alte provenzalische Redensart hebt die Bedeutung des Weizens der Heiligen Barbara hervor. Seine Triebe gelten als Vorboten für das kommende Jahr: Sind sie aufrecht und grün, verheißen sie Glück und Wohlstand. Sind sie hingegen geknickt oder gelb, deuten sie auf Unglück hin.
Die Heilige Barbara (Barbara von Nikomedien) gilt als Schutzpatronin der Feuerwehrleute, Artilleristen und Bergmänner.
Der Legende nach war Barbara die Tochter von Dioskorus, dem König von Nikomedia, im 3. Jahrhundert. Als sie sich weigerte, den persischen Prinzen Rifflemont zu heiraten, weil sie sich dem christlichen Gott weihen wollte, zog sie sich in einen Turm zurück. Während ihr Vater auf Reisen war, ließ sie sich von Johannes dem Täufer heimlich taufen. Als Dioskorus von der Konversion seiner Tochter erfuhr, war er erzürnt und übergab sie dem römischen Befehlshaber Marcianus. Barbara wurde schwer gefoltert, blieb jedoch standhaft und weigerte sich, ihrem Glauben abzuschwören. Zurück bei ihrem Vater, beharrte sie erneut auf ihrer Treue zu Gott. Daraufhin geriet Dioskorus in einen Wutanfall und schlug ihr eigenhändig den Kopf ab. In diesem Moment wurde Dioskorus vom Blitz getroffen und getötet, woraufhin seine Seele in die Hölle verbannt wurde.
Für die Franzosen ist gutes Essen ein zentraler Bestandteil des Lebens – und in der Provence gilt das umso mehr! Besonders in der Vorweihnachtszeit werden die feinsten Köstlichkeiten aufgetischt. Sparsamkeit ist hier fehl am Platz, vor allem an den Festtagen. An Weihnachten, am 25. und 26. Dezember, genießt man im Kreise der Familie ein wahres Festmahl: Austern, Foie gras, Wildgerichte, Pilze und die berühmten Trüffelspezialitäten. Auch Fisch, Meeresfrüchte und weitere Delikatessen dürfen dabei nicht fehlen.
Die Wochen vor dem Heiligen Abend verbringt man auf Weihnachtsmärkten, die auch in der Provence immer häufiger werden. Man besucht Schäferspiele, Krippenausstellungen und Konzerte, die die Vorfreude auf das Fest noch steigern.
Am Abend des 24. Dezember, dem Heiligen Abend, bleibt man traditionell lange wach, um an der Mitternachtsmesse teilzunehmen. Diese wird in vielen Orten von Musik- und Trachtengruppen mitgestaltet und ist ein eindrucksvolles Erlebnis.
Der Abend beginnt mit einem festlichen Essen, dem Gros-Souper, einer einfachen, aber reichhaltigen Mahlzeit. Serviert werden kalte Fisch- und Gemüseplatten, die genüsslich verzehrt werden. Doch das Highlight sind die Desserts: Ganze 13 verschiedene Nachspeisen werden aufgetischt! Diese Zahl symbolisiert Christus und seine 12 Apostel. Welche Köstlichkeiten sich hinter den 13 Desserts verbergen, bleibt vorerst ein Geheimnis, das ich später lüften werde.
An Weihnachten werden die Messen in zahlreichen Kirchen von traditionellen altprovenzalischen Liedern begleitet, den Noëls, die größtenteils aus dem 18. und 19. Jahrhundert stammen. Diese feierliche und bewegende Musik macht den Weihnachtsgottesdienst zu einem unvergesslichen Erlebnis.
Les anges dans nos campagnes
1. Les anges dans nos campagnes
Ont entonné l'hymne des cieux
Et l'écho de nos montagnes
Redit ce chant mélodieux
|: Gloria in excelsis Deo! :|
2. Bergers, pour qui cette fête
Quel-est l'objet de tous ces chants?
Quel vainqueur, Tchibo conquête
Mérite ces cris triomphants?
|: Gloria in excelsis Deo! :|
3. Il est né, le Dieu de gloire
Terre, tressaille de bonheur
Que tes hymnes de victoire
Chantent, célèbrent ton Sauveur !
|: Gloria in excelsis Deo! :|
In der Provence sind die 13 Desserts ein fester Bestandteil der Weihnachtstradition. Dieses reichhaltige Dessertbuffet wird nach der Mitternachtsmesse aufgetischt und bleibt die folgenden drei Tage stehen, damit sich jeder daran bedienen kann. Die Zahl 13 hat dabei eine symbolische Bedeutung: Sie steht für Jesus Christus und seine zwölf Apostel beim letzten Abendmahl.
Die Desserts bieten eine beeindruckende Vielfalt an Geschmäckern und Texturen, von süß und cremig bis fruchtig und knackig. Dazu wird traditionell ein Glas Vin cuit (gekochter Wein), Carthagène oder ein Likörwein gereicht. Diese Kombination erfreut die Sinne und sorgt für einen genussvollen Abschluss der Weihnachtsfeierlichkeiten.
Die Auswahl der 13 Desserts variiert je nach Region, doch einige Klassiker dürfen nicht fehlen. Ob für Jung oder Alt – die Desserts bereiten allen Freude und verleihen dem Fest in der Provence einen besonderen Zauber.
(provenzalisch)
Der Gros Soupa wird am Weihnachtsabend serviert, unmittelbar nach dem Cacho-fio und vor der Mitternachtsmesse. Trotz seines Namens – das „große Abendessen“ – ist dieses Mahl traditionell eher bescheiden und fleischlos, da der Heilige Abend noch zur Adventszeit zählt und somit ein Tag der Enthaltsamkeit ist.
Nach alter Tradition umfasst der Gros Soupa sieben magere Gerichte, die die sieben Leiden der Jungfrau Maria symbolisieren. Die Speisen bestehen hauptsächlich aus saisonalem Gemüse und traditionellen Gerichten wie:
Die Traditionen und Rezepte für den Gros Soupa variieren von Region zu Region in der Provence. Frédéric Mistral beschreibt, wie „nach und nach alle traditionellen Gerichte auf den Tisch kamen“. Je nach lokaler Küche können beispielsweise serviert werden:
Der Cacho-fio ist eine Zeremonie, bei der ein Holzscheit, genannt Bûche de Noël (= auch eine süße Schlemmerei an Weihnachten, Rezept folgt), angezündet wird (cacha: anzünden, fio: Feuer). Traditionellerweise stammt das Holz von einem Obstbaum, der im Laufe des Jahres gefällt worden ist, z.B. von einem Birn-, Kirsch- oder Olivenbaum.
Der Großvater begießt es dreimal mit Aperitifwein und spricht auf Provenzalisch den Weihespruch:
Alègre! Alègre! Alègre! Que nostre Segne nous alègre!
S'un autre an sian pas mai, moun Dieu fugen pas men!
Nach einer alten Tradition in der Provence nimmt der Jüngste der Familie am Weihnachtsabend den gesegneten Holzscheit, geht dreimal um den festlich gedeckten Tisch und legt ihn anschließend in den Kamin. Sobald das Holz brennt, beginnt die Veillée calendale – ein besinnlicher Abend voller Gesang, Choräle in provenzalischer Sprache, Erzählungen und Musik.
Früher wurde die Asche des Holzscheits mit großer Sorgfalt aufbewahrt, da sie als Schutz vor Krankheiten galt. Darüber hinaus hatte sie eine wichtige Rolle in der Landwirtschaft: Man streute sie in die vier Ecken eines Feldes, um den Acker vor Unwettern zu bewahren und eine reiche Ernte sicherzustellen.
Die Bûche de Noël (auf Deutsch: „Weihnachtsbaumstamm“) ist ein traditionelles französisches Dessert, das besonders zu Weihnachten serviert wird. Es handelt sich um einen Kuchen, der in der Form eines Baumstamms gestaltet ist und oft mit einer Schokoladenbuttercreme überzogen wird, um das Aussehen eines echten Baumstamms nachzuahmen.
Die Tradition der Bûche de Noël stammt aus der französischen Weihnachtstradition des „Cacho-fio“, bei dem ein Holzscheit am Heiligen Abend ins Feuer gelegt wurde, um das Haus zu segnen und Wohlstand zu bringen. Das Dessert symbolisiert dieses Holzscheit und ist ein süßer Abschluss der festlichen Mahlzeit.
Am 6. Januar, dem Fest der Heiligen Drei Könige, endet die Weihnachtszeit in der Provence. An diesem Tag werden die Krippenfiguren um die drei Weisen aus dem Morgenland ergänzt, die ihre Geschenke dem Jesuskind darbringen.
Eine weitere besondere Tradition ist die Galette des Rois, auch "Königskrone" genannt, die in den Bäckereien dieser Zeit angeboten wird. Dieser festliche Kuchen wird mit eingebackenen, kandierten Früchten und einer kleinen Überraschung zubereitet:
Der Genuss der Galette des Rois ist eine freudige Tradition, die Familien und Freunde zusammenbringt. Die Vorfreude auf das Finden der kleinen Figur und die damit verbundene symbolische Krönung machen diesen Tag zu einem besonderen Abschluss der weihnachtlichen Feierlichkeiten.
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